
Die AfD klagt gegen ihre Einstufung als „gesichert rechtsextremistisch“. Formal beruft sie sich auf das Bundesverfassungsschutzgesetz – inhaltlich auf das Recht selbst.
Doch wer genauer hinsieht, erkennt: Hier wird der Rechtsstaat nicht verteidigt, sondern benutzt.
Es ist ein bekanntes Muster: Mit juristischen Mitteln wird gezielt Vertrauen in Institutionen zerstört.
Die AfD übernimmt dabei die Rolle, die autoritäre Bewegungen schon im 20. Jahrhundert eingenommen haben:
Nicht das Recht ist ihr Ziel – sondern seine Aushöhlung. Mit Paragrafen statt mit Gewalt.
Der Gastbeitrag von Joachim Wagner, [LTO vom 2.7.25 ] der sich mit der rechtlichen Grundlage der Verfassungsschutzbewertung auseinandersetzt, ist in diesem Zusammenhang wichtig – und zugleich gefährlich vereinnehmbar. Denn Wagner geht es um juristische Präzision. Der AfD aber geht es um politische Delegitimierung.
Diesen Unterschied sichtbar zu machen, ist der eigentliche Zweck dieses Beitrags.
Wagner – kein AfD-Sympathisant, aber juristisch strikt
Juristisch ist der Beitrag von Joachim Wagner alles andere als eine Verteidigung der AfD. Er teilt nicht ihre Ideologie, nicht ihre Strategie – und erst recht nicht ihre Verachtung demokratischer Institutionen. Was Wagner allerdings tut: Er nimmt die verfassungsrechtlichen Maßstäbe ernst, auch dann, wenn sie unbequem sind.
Wagners Argumentation folgt einer formalistischen, grundrechtszentrierten Lesart: Wenn der Staat derart tief in die verfassungsrechtlich geschützte Parteienfreiheit eingreift, wie mit der öffentlichen Einstufung als „gesichert rechtsextremistisch“, dann müsse dies auf eine ausdrückliche, gesetzlich geregelte Grundlage gestützt sein. Andernfalls drohe – so seine Warnung – nicht nur eine gerichtliche Korrektur, sondern ein politischer Bumerang: Ein formaler Fehler könnte einer extremistischen Partei recht geben, nicht weil sie recht hat, sondern weil der Staat unpräzise gearbeitet hat.
Allerdings ist diese Lesart nicht die einzige plausible. Die derzeitige Auslegungspraxis des § 16 BVerfSchG – also die Einordnung gesicherter verfassungsfeindlicher Bestrebungen auch ohne ausdrückliche Nennung dieser Kategorie im Gesetz – beruht auf anerkannten juristischen Methoden:
- der systematischen Auslegung (im Zusammenspiel mit § 3 BVerfSchG),
- der teleologischen Auslegung (Zweck: Schutz der FDGO und Aufklärung der Öffentlichkeit),
- sowie auf der historischen Entwicklung, wonach der Gesetzgeber wiederholt bestehende Verwaltungspraxis nachträglich legalisiert hat (z. B. 1989, 2015).
Diese Praxis wurde von der Rechtsprechung – u. a. dem OVG Münster, dem VG Köln, dem BVerwG – nicht nur toleriert, sondern bestätigt. Besonders der Erst-recht-Schluss (wenn Berichterstattung über Verdachtsfälle erlaubt ist, dann erst recht über gesicherte Erkenntnisse) ist dogmatisch anerkannt und keineswegs willkürlich.
Insofern ist die derzeitige Praxis rechtsstaatlich tragfähig, auch ohne ausdrückliche Kodifizierung des Begriffs „gesichert extremistisch“. Wagner argumentiert aus einer Perspektive maximaler formeller Klarheit – was legitim ist. Doch es bedeutet nicht, dass die aktuelle Handhabung rechtswidrig wäre. Sie entspricht gängiger Auslegungspraxis und juristischen Standards.
Zynische Logik mit juristischem Vokabular
Genau diesen Unterschied verwischt die AfD strategisch bewusst. Sie nimmt die Argumentation Wagners – das Fehlen einer klaren Ermächtigungsgrundlage – und übersetzt sie in politische Propaganda:
„Seht ihr – sogar Juristen sagen, der Staat handelt rechtswidrig.“
Die Verteidigungslinie der AfD folgt dabei einer zynischen, aber strategisch wirksamen Logik:
Sie beruft sich auf rechtsstaatliche Prinzipien, um ihre Angriffe auf den Rechtsstaat zu legitimieren.
Nach Darstellung der LTO argumentiert die AfD in ihrer Klage, dass die Einstufung „gesichert rechtsextremistisch“ keine gesetzliche Grundlage habe und hiermit ein grundrechtsgleicher Eingriff ohne formelle Legitimation vollzogen werde.
Die Partei selbst formuliert es drastischer.
Stephan Brandner, stellvertretender Bundessprecher der AfD, kritisierte die Entscheidung des Verfassungsschutzes als eine “rein politische” und “unfaire Kampfmaßnahme gegen die einzige Oppositionskraft”. Dahinter stehe der “Kampf der Kartellparteien gegen die AfD”, sagte er ZEIT ONLINE.
Und im Bundestagswahlprogramm von 2021 (S. 15) , das aktuell erneut zitiert wird, steht:
Zahlreiche Gesetze und die politische Praxis haben die
Gewaltenteilung in Deutschland als Kernelement des
Rechtsstaats über die Jahre in Gefahr gebracht und zu
einer überbordenden Staatsgewalt geführt: Ehemalige
Politiker auf Richterstühlen
Es ist eine gezielte Umcodierung des Rechtsstaats: Der Schutz demokratischer Institutionen wird als Machtinstrument diffamiert, juristische Differenzierung als Unterdrückung, institutionelle Kontrolle als Verschwörung.
Die AfD nutzt den Rechtsstaat, um ihn rhetorisch als Unrechtsstaat erscheinen zu lassen.
Ein Gesetz, das zu spät kommt? – Rückwirkung ausgeschlossen
Wagners Vorschlag, eine klare gesetzliche Grundlage für die Kategorie „gesichert extremistisch“ zu schaffen, ist rechtspolitisch nachvollziehbar. Doch juristisch stellt sich eine ernüchternde Frage: Hilft ein solches Gesetz überhaupt noch im aktuellen Fall?
Die Antwort lautet: Nein – zumindest nicht rückwirkend.
Denn jede gesetzliche Klarstellung, die erst nach der öffentlichen Einstufung der AfD erfolgt, dürfte auf genau diesen Fall nicht mehr angewendet werden. Das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot – insbesondere das Verbot echter Rückwirkung – schützt nicht nur Eigentumsrechte, sondern auch belastbare Vertrauenstatbestände wie die Parteienfreiheit aus Art. 21 GG.
Ein neues Gesetz kann künftige Einstufungen rechtlich absichern – aber die aktuelle Einstufung der AfD bleibt verwundbar. Sollte das Bundesverwaltungsgericht (oder später sogar das BVerfG) zu dem Schluss kommen, dass die bisherige Praxis eine unzulässige Rechtsauslegung darstellt, droht der Einstufung das juristische Aus – trotz inhaltlicher Berechtigung.
Ist der Rechtsstaat wehrlos? Warum die AfD falsch liegt – trotz juristischer Spitzfindigkeiten
Wenn die derzeitige Einstufung der AfD nicht auf ein späteres Gesetz gestützt werden kann, stellt sich eine unangenehme Frage:
Hat der Staat seine Verteidigungslinie gegen den Extremismus zu schwach abgesichert?
Oder anders gefragt: Ist die Demokratie angreifbar geworden, weil sie sich juristisch nicht wasserdicht genug formuliert hat?
Die AfD argumentiert genau in diese Richtung. Doch diese Argumentation ist verkürzt, interessengeleitet und verfassungsrechtlich nicht zwingend.
Denn auch ohne nachträgliche Gesetzesänderung gibt es verfassungsrechtlich tragfähige Grundlagen, um die aktuelle Einstufung der AfD zu rechtfertigen:
- Wehrhafte Demokratie ist Verfassungsprinzip:
Der Staat hat eine aktive Schutzpflicht gegenüber der FDGO – auch präventiv. Die §§ 3 und 16 BVerfSchG müssen im Licht dieser Pflicht ausgelegt werden. - Rechtsprechung und Verwaltungspraxis als normkonkretisierende Auslegung:
Der Begriff „gesichert extremistisch“ ist verwaltungsrechtlich etabliert und durch Gerichte bestätigt, auch ohne ausdrückliche gesetzliche Normierung. - Der Erst-recht-Schluss ist kein Trick, sondern Methode:
Dass gesicherte Erkenntnisse stärker als Verdachtslagen behandelt werden dürfen, ist juristisch legitim – und Ausdruck einer verantwortungsvollen Auslegung.
Der Rechtsstaat ist nicht wehrlos, nur weil er nicht jedes Wort ins Gesetz geschrieben hat.
Doch er muss jetzt aufpassen, dass juristische Feinheiten nicht zur politischen Schwachstelle werden.