Lenny’s Laterne

Trump und die Rückkehr der Tyrannis

Wenn über Trump oder Putin gesprochen wird, fällt fast reflexhaft das Wort „Faschismus“. Kommentatoren verweisen auf Mussolini, auf Hitler, auf Führerkult und autoritäre Inszenierungen. Diese Vergleiche sind verständlich – sie greifen auf vertraute Bilder zurück, die sofort Alarm auslösen. Doch sie sind nicht ganz zutreffend.

Faschismus war eine spezifische Ideologie des 20. Jahrhunderts: ein geschlossenes Programm mit Massenpartei, Rassenlehre und totalitärem Anspruch. Weder Trump noch Putin erfüllen dieses Raster. Trump regiert per Dekret, bedroht Gerichte, instrumentalisiert die Nationalgarde und versucht, die Geschichte der Sklaverei umzuschreiben. Putin beruft sich auf eine imperiale Lesart der russischen Vergangenheit, um seinen Rachefeldzug gegen den Zerfall der Sowjetunion zu legitimieren. In beiden Fällen fehlt die einheitliche Ideologie – entscheidend ist der opportunistische Machtgebrauch.

Genau darin liegt der Kern: Was wir bei Trump und Putin beobachten, ist nicht klassischer Faschismus, sondern die Rückkehr zu einem älteren Muster – zur Tyrannis.


Was bedeutet Tyrannis?

Nach der Encyclopaedia Britannica ist Tyrannis:

„eine autokratische Herrschaftsform, in der ein Einzelner Macht ohne rechtliche Schranken ausübt.“

Im Unterschied zum Faschismus braucht die Tyrannis keine geschlossene Weltanschauung. Entscheidend ist die Form der Machtausübung: Macht wird konzentriert, Gesetze verlieren ihre bindende Kraft, Rechte gelten nur nach Belieben. Genau deshalb ist der Begriff heute so aktuell.


Die Tyrannis-Checkliste (Britannica angewendet auf Trump)

KriteriumBedeutungAnwendung auf Trump
Macht in einer PersonHerrschaft konzentriert auf einen Einzelnen.Trump stellt sich über Partei und Kabinett, sein Credo: „Only I can fix it.“
Keine rechtlichen SchrankenGesetze und Gerichte werden ignoriert.Exekutivorders gegen Urteile des Supreme Court (z. B. Strafbarkeit von Flaggenverbrennung).
Illegitime MachtbasisLoyalität wichtiger als institutionelle Legitimität.Säuberungen in Justiz und Verwaltung, Loyalitätstests für Richter und Beamte.
Rechte nach BeliebenRechte gelten nicht universell.Entrechtung von Migranten, Kriminalisierung von Gegnern, Angriffe auf die Pressefreiheit.
Instrumentalisierung von InstitutionenInstitutionen werden entkernt und für persönliche Herrschaft genutzt.Militarisierung der Nationalgarde, symbolische Umbenennung des „Department of Defense“ in „Department of War“.
Keine Ideologie notwendigTyrannis funktioniert ohne geschlossene Weltanschauung.Nationalismus, Kulturkampf, Opportunismus – flexibel eingesetzt, je nach Lage.
GeschichtsklitterungVergangenheit wird im eigenen Sinne umgeschrieben.Versuche, Sklaverei und Rassismus zu relativieren und Geschichtsnarrative zu verschieben.

Warum „Tyrann“ besser passt als „Diktator“

Das Wort „Diktator“ ruft sofort Assoziationen an Hitler oder Mussolini hervor. Diese Analogie blockiert Debatten schnell: „So schlimm ist es ja noch nicht“ oder „Das ist ein Nazi-Vergleich“.

Der Begriff Tyrann ist älter und zugleich universeller. Er bezeichnet Herrschaft ohne rechtliche Grenzen, ausgeübt nach Willkür. Damit trifft er präziser, was wir bei Trump beobachten: keine konsistente Ideologie, sondern opportunistische Machtausweitung – Schritt für Schritt, durch Verordnungen und politische Gewalt.


Fazit

Trumps Regierungsstil erfüllt jedes Kriterium der Britannica-Definition von Tyrannis. Er ist kein ideologisch gefestigter Faschist, sondern ein moderner Tyrann: opportunistisch, flexibel und bereit, Recht, Institutionen und Geschichte nach seinen Bedürfnissen umzuschreiben.

Moderne Tyrannis trägt keine Uniform. Sie trägt Ambition.


Ein Zusatz: Tyrannis und die AfD

Eine Frage bleibt: Bewegen sich auch die AfD in Deutschland und andere rechte Bewegungen in Europa in diese Richtung? Bisher werden sie oft reflexhaft mit dem Begriff Faschismus belegt. Doch genau dieser Vergleich bindet sie an die historische Erfahrung des Nationalsozialismus – ein Erbe, das in Deutschland schwerer wiegt als in den USA.

Im Kern verfolgen auch diese Bewegungen ein Ziel: die Prinzipien der Aufklärung zurückzudrängen – die Idee universeller Menschenrechte, die Herrschaft des Rechts, die Gleichheit der Bürger. An die Stelle treten Willkür, Ausschluss und die Aufwertung nationaler „Schicksalsgemeinschaften“. In dieser Hinsicht zeigt sich eine Nähe zu den modernen Tyrannen: Wie Trump oder Putin operiert auch die AfD mit Opportunismus, Ressentiment und Angriffen auf Institutionen. Langfristig dürfte ihre Orientierung an diesen Vorbildern eher stärker werden – und damit auch ihre Distanz zu klassischen faschistischen Ideologien.

Die Gefahr liegt also nicht in einem „neuen Faschismus“, sondern in einer schleichenden Tyrannis: einer Herrschaftsform, die sich demokratisch tarnt, aber Schritt für Schritt die Grundlagen der Aufklärung zerstört.

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