Gestern habe ich die Online Abteilung der Nordseezeitung besucht!
Tolle Gespräche! Die Online Präsenz ist toll und weit über dem Niveau, das ich von anderen Lokalzeitungen kenne!
Also, es hat echt Spaß gemacht und ich lese die Seiten gerne!
Ich sollte mal mit den Videos Pause machen, aber die Themen liegen in Bremerhaven im wahrsten Wortsinne “auf der Straße”. Ein paar Gedanken über technische Innovationen, Erfindungen und Wiederentdeckungen, die Bremerhaven zur Stadt der Zukunft machen könnten. Zeppeline, Hyperloops und lustige Videos, also viel Spaß mit dem Video!
(Die Timestamps helfen, wenn ihr ein bestimmtes Thema sehen wollt, ich habe es einfach nicht unter 15 min hinbekommen!)
Zwei Beiträge in der Nordseezeitung sollten in Bremerhaven mehr Beachtung finden:
Zur Magistratsreform:
Und zur Stellung des Oberbürgermeisters:
Beide Beiträge hängen eng zusammen. Eine kleine Grafik hilft beim folgenden Gedankengang:
Wo liegt das Problem?
Eigentlich in allen Konstellationen auf kommunaler Ebene gibt es zwei “Macht”Zentren:
1. Die Verwaltung einer Kommune
2. Die politische Repräsentation der Menschen in der Stadt.
In Bremerhaven:
1. Magistrat und 2. Stadtverordnetenversammlung.
Wie das Verhältnis dieser beiden Pole geregelt ist, das steht eigentlich in den kommunalen Ordnungen, d.h. in Nordrhein-Westfalen in der Gemeindeordnung, ergänzt durch lokales Recht, und in Bremerhaven in der Landesverfassung und in der Verfassung für die Stadt Bremerhaven.
So weit, so gut.
Ich will jetzt auch gar nicht auf die Feinheiten eingehen.
Aber, eigentlich wichtig ist der tatsächliche Umgang der Akteure miteinander:
Unter Problemorientierung fällt auch unsere Auffassung, dass z.B. die
Jörg Bogumil/Lars Holtkamp Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung S. 13 https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/Kommunalpolitik_Internet.pdf
Lektüre der Gemeindeordnung nur wenig darüber verrät, wie Kommunalpolitik tatsächlich »tickt«. Wesentlich ist vielmehr das Verhalten der Akteure,
das nur begrenzt von den rechtlichen Rahmenbedingungen beeinflusst wird,
und wie die Akteure sich (häufig in informellen) Abstimmungsprozessen
einigen oder sich durch mikropolitische Strategien einen Vorteil verschaffen. Um eine realistische Diskussion über kommunale Entscheidungsprozesse führen zu können, reicht es nicht, die offiziellen Verlautbarungen der
Akteure und die formalen Kompetenzen der Gemeindeordnung in den Blick
zu nehmen, vielmehr ist es wesentlich, die Interessenlagen, die Machtbeziehungen zwischen den Akteuren und die informellen Strategien zu analysieren. Mit diesem Verständnis von Akteuren und Institutionen knüpfen wir
insbesondere an den akteurszentrierten Institutionalismus an (vgl. Mayntz/
Scharpf 1995). Institutionen wie die Kommunalverfassung sind danach zwar
eine wichtige Erklärungsvariable für das Verhalten von individuellen und
kollektiven Akteuren, aber sie determinieren das Akteurshandeln nicht vollständig:
Weiterhin wird, grob vereinfacht, zwischen drei Modellen der Zusammenarbeit zwischen Verwaltung (Magistrat), Repräsentanz (Stadtverordneten) und der Stadtbevölkerung unterschieden:
- unpolitische Selbstverwaltung
- Konkordanzdemokratie
- Konkurrenzdemokratie
1. vergessen wir mal,
bei 2. und 3. ist klar: kommunalpolitische Entscheidungen sind immer auch politische Entscheidungen, wobei
3. stark geprägt ist durch eine Herrschaft der Parteien (der Mehrheit eben), und
2. eher die Verwaltung betont, wobei dies möglichst durch eine Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen ausgeglichen werden soll.
Verfassungsrechtlich gewollt ist eine Verwaltung, die als neutraler, keine eigenen
PAUL VON KODOLITSCH Miteinander oder gegeneinander?
Interessen verfolgender Apparat zur Umsetzung von Vorgaben der Politik fungiert
(„hierarchische Verwaltung“)62. Als „bedenklich“ und „in der Regel schädlich“ wird
der Einfluss der Politik auf die Verwaltung danach immer dann empfunden, „wenn
er erfolgreich die Neutralität der Verwaltung im Wettbewerb um politische Macht –
sei es der Parteien, sei es einzelner Gruppen oder Personen – aufhebt und die Verwaltung in den Dienst dieses Wettbewerbs stellt“
Archiv für Kommunalwissenschaften Jahrgang 2000, Band II
Soweit die Theorie!
Wie schon oben festgestellt, sieht die Praxis meistens anders aus.
Es knirscht immer wieder zwischen Verwaltung und Politik!
Die Verwaltung ist neben ihren kommunalen Aufgaben auch noch immer dem Bund gegenüber verpflichtet, soweit den Kommunen Aufgaben des Bundes auferlegt wurden.
Und nicht immer passen politische Grundüberzeugungen zur aktuellen Rechtslage (Tempo 30, aufgesetztes Parken).
Aber die aktuelle Rechtslage, und nicht das Parteibuch, sind für Verwaltungsentscheidungen maßgeblich.
Ein schwieriges Paar, bei dem Scheidung leider keine Option ist.
Aber, so ist es in den Ordnungen gewollt, und aus diesen Reibungen sollen auch Lösungen entstehen, die sowohl vor Gericht Bestand haben, als auch von der Zivilgesellschaft akzeptiert werden.
Und Bremerhaven?
Durch die lange Herrschaft gerade einer Partei, der SPD, ist in Bremerhaven eine starke Verflechtung zwischen politischen Akteuren und der Verwaltung entstanden.
Die SPD und auch die CDU sind darüber hinaus stark geprägt durch strenge Hierarchiestrukturen innerhalb der Partei, d.h.
Kandidaten für die politische Repräsentation durchlaufen i.d.R. eine innerparteiliche “Ochsentour” bis sie Mandate übernehmen können. Man greift gerne auf bewährte Parteisoldaten zurück.
Bei den Grünen kann die Kandidatenauswahl durchaus auch zu unerwarteten, momentanen Ergebnissen führen, die später die politische Arbeit eher behindern.
Die aktuell so begehrte und angestrebte Magistratsreform bindet die Verwaltung, den Magistrat, noch stärker als bisher an die Politik. Man will “durchregieren”!
Die nicht freie Wahl des Oberbürgermeisters durch die Stadtgesellschaft verstärkt diesen Effekt.
So lebt es zumindest Melf Grantz vor.
Auch er mußte vorher den innerparteilichen Auswahlprozess durchlaufen. Und aktuell erhebt er als Verwaltungschef durchaus auch eine politische Stimme.
Gerade die Wahl des Oberbürgermeisters durch die Bürger und Bürgerinnen ist in fast allen Kommunen in Deutschland als Ausgleich für ein Übergewicht von Partei oder Verwaltung gedacht und funktioniert auch prima.
Die Konstruktion in Bremerhaven ist ein Einzelfall!
Die Parteien erfüllen schon lange nicht mehr ihre eigentliche Funktion als Mittler zwischen Stadtvolk und Macht, denn die Mitgliederzahlen sind ständig gesunken und die Parteiverdrossenheit ist groß.
So erscheinen die Stadtverordnetenversammlungen in Bremerhaven eher als Pflichtübungen. Die Sitzungen bestätigen die politischen Agenden oder bereits lange intransparent in Ausschüssen vorbereitete Beschlüsse werden durchgewunken.
Sternstunden der Demokratie sind sie eher selten.
Die Parteiverdrossenheit der Stadtbevölkerung wächst damit weiter an.
Dass etwas nicht stimmen kann, dass zeigen die beiden o.g. Artikel in der Nordseezeitung, und die “Abgänge” der letzten Zeit von der politischen und der Bühne des Magistrats. ( Ein Beispiel ist der Abgang von Dr. Gatti)
Es hat alles ein schlechtes Geschmäckle, und der erste Gedanke, den man bei solch einem “Geschmäckle” hat, ist i.d.R. der richtige Gedanke.
So Ockhams Rasiermesser ( Wilhelm von Ockham 1288 – 1347)
Ob sich nach der Wahl etwas ändern wird?
Ich hoffe, aber mehr als Hoffnung ist bei mir nicht drin.
Das Problem liegt tiefer, sehr viel tiefer: es ist ein Systemfehler!
Die Stadt braucht einen Kaltstart, einen Reset!
Gibt es Lösungsansätze?
Ja!
Jörg Bogumil/Lars Holtkamp betonen in ihrem o.g. Buch, wie wichtig bei solchen kommunalen Konstellationen plebiszitäre Elemente werden, also Bürgerbeteiligungen.
Es gibt hierfür keine Blaupausen, keine Lösungen aus der Schublade.
Solche Beteiligungen sind nur dann erfolgreich, wenn sie auch zu dem Problem passen.
Bürgerforen oder Bürgerräte funktionieren eben nicht immer, und sind leider auch schon zu Geschäftsmodellen geworden, was die Sache nicht vereinfacht.
Die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligungsformen ist bunt und vielfältig, und viele Kommunen experimentieren erfolgreich auf dem Gebiet der Bauleitplanung und des Verkehrs. Dies sind ja gerade die Gebiete, bei denen Bremerhaven festhängt, und fast bewegungsunfähig ist, wenn es um Zukunftsfragen geht, d.h.: wie soll die Stadt in 40 Jahren in Zeiten des Klimawandels noch funktionieren?
Ich habe jetzt gerade mal etwas an der Oberfläche gekratzt.
Aber für die Zukunft der Stadt wird das Thema zentral werden. Man kann kaum voraussehen, wie die Welt in ein paar Jahren aussehen wird, und wie Kommunen darauf reagieren müssen, dynamisch und resilient.
Bremerhaven kann das zurzeit nicht.
Und die angestrebte Magisterratsreform? Da wird der Status Quo eher verfestigt und verschlimmbessert.
Die Direktwahl des Bürgermeisters wäre zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung!
Und, vielleicht ist die hoch gefeierte Stadtverfassung auch einfach etwas in die Jahre gekommen.