Es ist schon eine Herausforderung, in 60 sec komplexe Themen zu verpacken.
A) die Pläne für das neue Karstadt Gebäude.
Das Büro Gerber sieht vor, auf dem Gelände auf einer Grundkonstruktion drei Gebäude zu errichten.
Das PDF unter https://sitzungsapp.bremerhaven.de/ris/bremerhaven/agendaitem/details/32145
Diese Pläne sollten der StVV vorgelegt werden. Somit gehe ich davon aus, daß sie den aktuellen Planungen entsprechen.
Entwurf Gerber Architekten GmbH, Purple Rhino
veröffentlicht als Anlage zur Tischvorlage StVV – V 63/2024 zur Sitzung vom 29.8.2024 der Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven.
Die Vorlage wurde zurückgezogen, und soll auf der nächsten StVV besprochen werden.
Zitat aus der Vorlage:
Die Stadtverordnetenversammlung bittet die STÄWOG, eine Machbarkeitsstudie durch das Dortmunder Architekturbüro Gerber Architekten GmbH erarbeiten zu lassen, die neben inhaltlichen und baulichen Verknüpfungen zwischen der Stadtbibliothek und dem Jugendgästehaus auch die Anbindung an das Columbus-Shopping Center ermitteln soll. Die Machbarkeitsstudie soll dabei auf die Ergebnisse des Gestaltungsbeirats vom 30.05.2024 zurückgreifen und von Gerber Architekten GmbH erstellt werden.
Das höchste Gebäude mit 34,5 m steht direkt an der Bürger, also konkurriert unmittelbar mit der Kirche.
( ….ich habe 2 m hinzugerechnet, und kam so auf 38 NHN über normal)
Dies Gebäude soll hauptsächlich die Stadtbibliothek beherbergen.
Zwischen den Gebäuden ist ein Dachgarten geplant.
Die Höhe bietet natürlich die Möglichkeit, im Innern der Gebäude hohe, lichte Räume zu schaffen.
Also bietet dieser Entwurf, wenn man ihn so betrachtet, viele spannende Möglichkeiten.
Grundsätzlich sind die Grundgedanken zu diesem Gebäudekomplex richtig, aber…
Dies Bild ändert sich, wenn man den Entwurf von außen, in der realen Welt, betrachtet.
Mal davon abgesehen davon, daß man massiv in die Erscheinung der Bürger und der Skyline eingreift.
Ohne die Berücksichtigung des tatsächlichen Flächenbedarfs in Bremerhaven, ohne Berücksichtigung der bereits einsehbaren Studien, geht eine Planung in dieser Größenordnung an den Realitäten in Bremerhaven vorbei.
Es werden weitere Ladenflächen geschaffen, und ob ein Wohnbedarf in dieser Größenordnung besteht, muß näher untersucht werden.
Man will eine Sichtachse zu den Havenwelten erzeugen, in dem man an der “C&A Seite” eine freie “Ecke”, einen Freiraum, schafft.
Dieser soll eine abgesenkte Fläche beinhalten.
Eigentlich eine gute Idee, eine Art Forum kann dort entstehen, ein Atrium, eine Agora.
In Zeiten des Klimawandels ist das aber auch sehr sportlich gedacht. Starkregen läßt grüßen!
Überhaupt, Extremwetter.
Architekten, die heute noch mit unbegrünten Klinkerfassaden arbeiten, begehen Körperverletzung.
Der Klimawandel ist schon längst angekommen, und Bremerhaven hat ein Problem mit Tropennächten.
Die neu geschaffene Freifläche ist für mich auch ein Problem.
Hintergedanke:
man will eine Sichtachse zwischen Havenwelten und City schaffen: Besucher sollen die Innenstadt entdecken.
Das funktioniert nicht!
Ich war vor kurzem in Kopenhagen, und es war schon skurril, wie lokal-begrenzt Touristen agieren.
Wenn ich eine Stadt besuche, als Tourist, gehe ich nur Shoppen, wenn mich bestimmte Geschäfte interessieren. In Zeiten des Internets sind das sehr, sehr wenige Geschäfte.
Anders sieht es aus, wenn ich in Kauflaune komme.
Dann “entdecke” ich Geschäfte, um diese Laune zu befriedigen. In New York nannte man das früher
“Shop till you drop”.
Beispiel Kreuzfahrtschiffe:
wenn ich in der entsprechenden Stimmung bin, dann komme ich auch in Kauflaune. Alles auf einem Kreuzfahrtschiff ist darauf ausgelegt, mich in Konsumstimmung zu versetzen. So verdienen die Betreiber ihr Geld. Das konkrete Angebot ist eigentlich egal.
Zuerst die Aufenthaltsqualität, dann die Kauf(konsum)laune.
Aber, wenn ich bei den Gerber Plänen einen hoch versiegelten Platz sehe,
mit Bäumen in Einzelhaft, dann komme ich nicht in Kauflaune.
Da will ich bloß noch weg.
Ich schau mit die üblichen Attraktionen an, Klimahaus und Co. und weg bin ich.
Plätze sind die Augen der Stadt, ihre Seele. Venedig, Münster. In Münster und Venedig, in vielen mittelalterlichen Städten, in denen wir uns sofort wohlfühlen, bilden Plätze die Mittelpunkte.
Wie ein Platz funktioniert, im Gegensatz zu einer Achse, hat man schön bei zwei Veranstaltungen gesehen, am Wochenende in Bremerhaven:
Während ich auf dem tollen Straßenfest des Goethquartiers schön entlang der Stände flanieren konnte, hatte ich keinen Überblick, was gerade dort passierte, wo ich nicht wahr, wohin ich nicht blicken konnte. Eigentlich steht man immer am falschen Ende der Festmeile. Das ist nun einmal die Eigenart eines Straßenfestes.
Ganz anders beim Weinfest auf dem Theodor Heuss Platz.
Dort hatte ich an jedem Ort, an dem ich mich auf dem Platz befand, alles im Blick.
Während Straßen dafür stehen, daß wir gehen, flanieren, an keinem festen Ort bleiben,
stehen Plätze dafür, daß wir dort verweilen wollen, weil wir alles überblicken können.
Wir können sehen, ob Freunde gerade angekommen sind, wo uns etwas interessiert.
Aus diesem Grund sind Plätze so enorm wichtig für eine Stadt.
Sie sind die Augen der Stadt, die Straßen bloß die Zulieferer.
Die Zugänge zu mittelalterlichen Plätzen sind oft schmal.
Erst wenn ich durch kleine Gassen gehe, kommt beim Anblick des Platzes am Ende des Weges, der Weite des Platzes, der AHA Effekt.
Stadtplaner, die noch ohne Apple gearbeitet haben, sondern auf Augenhöhe mit den Menschen, kannten diese Zusammenhänge. Jan Gehl hat sie wieder in die Moderne geholt. Der Platz zwischen den Gebäuden ist entscheidend.
Der Platzcharakter des Platzes vor der großen Kirche wird durch die Planung von Gerber zerstört.
Der Ansatz der Gerber Pläne ist gut.
Aber zu groß, und der Platz vor der großen Kirche sollte seinen Platz-Charakter behalten.
B) Streitkultur
Man könnte jetzt “freundlich” behaupten, die Kommunikation der kleinen Gruppe, die über das Schicksal der Innenstadt entscheidet, wäre schlecht.
Aber, wenn sich ein Oberbürgermeister einer Diskussionsrunde verweigert, weil ihm die Teilnehmer nicht passen. Wenn sich der Oberbürgermeister dann auf eine typische Berieselungsveranstaltung zurückzieht.
Ja, dann darf man sich nicht wundern, wenn die Menschen das Vertrauen verlieren.
Werftquartier, NaJade, Karstadt: wie ein roter Faden zieht sich ein patriarchalischer Politikstil durch die Stadt.
Und der wird nicht ohne Konsequenzen bleiben.
Bei den letzten Kommunalwahlen haben Populisten enorme Gewinne verzeichnet, eine Wahlbeteiligung von 40% zeigt: da haben sich schon viele Menschen von der Politik verabschiedet.
Bei der Europawahl 14% AFD!
Das sind Alarmsignale für die Stadt!