Vorweg:
Die Pläne, die das Büro Cobe vorstellte, sind gut, und sicherlich ist die Idee und die Planung einer Bebauung auf der jetzigen Brache eine bessere Idee, um Wohnraum für neue Interessenten in Bremerhaven zu schaffen, als ein Gebiet für Einfamilienhäuser auszuweisen.

Infos auf den Seiten der Stadt [LINK] und bei der Petram Group [LINK] sowie zwei Berichte bei ButenunBinnen [LINK] [LINK] und Norderlesen [LINK]


Wenn man Grußworte und Diskussion weglässt, war die Vorstellung der Pläne in einer Stunde gelaufen.
In den hinteren Reihen des Raumes dürfte man kaum etwas von der Präsentation gesehen haben, aber die Stadt will die Unterlagen und eine Videoaufzeichnung auf ihren Seiten einstellen.

Eine Bürgerbeteiligung war es nicht, und ich war erstaunt, dass Torsten Neuhoff das Thema Bürgerbeteiligung in seinem Grußwort aufgriff, und Besserung versprach.
Es war eine Informationsveranstaltung, mehr nicht.

Es handelt sich nach wie vor noch um eine Rahmenplanung [LINK] , d.h. es sind kaum Details und belastbare Vorstellungen bekannt, wie es mal in der Realität aussehen wird.
Es ist eher eine Art Werbeprospekt.
Rechtlich verbindlich wird erst die konkrete Bauleitplanung. In dieser Phase ist eine Bürgerbeteiligung rechtlich vorgeschrieben.
Aber ich will hoffen, dass die Stadt Ernst macht mit der Bürgerbeteiligung und hier neue Wege geht und
– transparent,
– repräsentativ und
– ergebnisoffen
einen Dialog führt.
Die Bedeutung des Werftquartieres geht weit über Geestemünde hinaus ganz Bremerhaven etwas an.
Es wird ein Bremerhaven vor, und nach diesem Projekt geben.

Die Grußworte brachten zwei Erkenntnisse:
das Thema Bürgerbeteiligung ist bei der Politik angekommen, zumindest bei Torsten Neuhoff, und er brachte die Bemühungen auf den Punkt:
Bremerhaven braucht Steuerzahler. Ein berechtigtes Ziel.


Wenn man sich das Modell anschaut, wird schnell klar:

Hier wird ein neuer, eigenständiger Stadtteil geplant.

Mit Geestemünde hat das nichts mehr zu tun.
Noch einmal die Zahlen:

140 ha  
2.966 Wohneinheiten (1.960 klein/760 mittel/246 groß)
6.229 Einwohner
4.000- 6.000 Arbeitsplätze
3.600 Stellplätze

6 Bebauungspläne sind zu entwerfen bzw. zu ändern, 4 der Bebauungspläne mit Kernfunktionen und viele öffentlich rechtliche Verträge mit unzähligen Fallstricken und Interessenkollisionen, i.d.R. unter dem Aufmerksamkeitsradar der Öffentlichkeit.

Bremerhaven hat zur Zeit 118.000 Einwohner; d.h. Bremerhaven soll um
ca.6 % wachsen.
Kurz, das ist nicht nur eine Nachverdichtung, die Stadt wird sich durch das Projekt ändern.

Dies ist kaum mit dem Überseequartier in Bremen oder der Hafencity in Hamburg vergleichbar, denn das Werftquartier dominiert den Süden der Stadt und bildet neben Mitte und Geestemünde einen neuen eigenständigen Stadtteil.
Geestemünde wird in den Hintergrund, in den Schatten treten.

Dies wurde in der bisherigen Planung kaum berücksichtigt.
Es existiert ein Gutachten, wie sich die Maßnahme auf den Handel auswirken wird.
Aber es geht um mehr.
Die neue Bebauung am Neuen Hafen ist ein gutes Beispiel für eine Monopolisierung.
Sie wird kaum dem “echten” Bremerhaven zugerechnet, und noch immer als Fremdkörper empfunden. Hier findet man auch eine Gated Community, die reinste Form der Abgrenzung.
Solche Entwicklungen der Segregation gilt es zu vermeiden.

Hamburg hat mit der Hafen City nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Die Hafen-City ist für viele Hamburger noch immer ein Fremdkörper, ein “Hipster” Viertel.

Melf Grantz wurde nicht müde zu betonen, daß auch städtischer und bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden soll. Die Verteilung der geplanten Wohnungen gem. Rahmenplanung unterstützt diese Aussage, wenn, ja wenn dies auch so für die Investoren festgelegt werden kann.

Aber das wäre auch nur ein Teil der Lösung. In den Niederlanden hat man z.B. das holländische Modell entwickelt, d.h. in einem Haus werden Menschen aus verschiedenen sozialen Milieus gemischt.

Wie wird sich die Maßnahme auf Mitte und Geestemünde auswirken? Werden die Stadtteile abgehängt, weil die ewig klamme Stadt dort nichts mehr investieren kann (1.2 Mio haben die jetzigen Vorplanungen gekostet), oder werden die Stadtteile von der Maßnahme profitieren.

Auch neue Stadtteile müssen sozial integriert werden!

Dieter Petram hat in einem Interview bei ButenunBinnen deutlich ausgesprochen, was viele denken, die Brotkrumentheorie: wenn Reiche kommen, wird schon was für die Armen abfallen.[LINK]
Das Interesse der Politik sollte sich auf alle Stadtteile in Bremerhaven richten, nicht nur auf Leuchtturmprojekte.

Eine ausdrückliche Sozialquote für das Quartier hat die Stadtverordnetenversammlung 2021 abgelehnt [LINK]


Wie hier Verwerfungen und Abgrenzungen vermieden werden können, bleibt noch zu klären
Und, wie sollen die Verträge mit den Investoren hierzu aussehen?


Eine große Sollbruchstelle ist das Thema Klima.
Zur Erinnerung:
Die Stadtverordnetenversammlung hat im September 2020 beschlossen, daß Quartier nicht klimaneutral zu bauen [LINK].

Die Planungen sind schon älter, und 2020 hatten die Parteien das Klima noch nicht als Thema entdeckt. Der Wahlkampf brachte nicht unbedingt die Erkenntnis über die Wichtigkeit des Themas, aber das Thema kam auf die Agenda, um Wahlchancen zu verbessern!

Momentan, auch auf dieser Veranstaltung, wird über Nachhaltigkeit philosophiert, ohne sich belastbar mit dem Thema zu beschäftigen.
Das Thema Klima wird aktuell (mittlerweile nimmt man das Wort klimaneutral gerne in den Mund, so wie neuerdings alles BIO ist) nur mit den Themengebieten Energieversorgung, Dachbegrünung und KW Standards besetzt. Also alles, was auch gefördert wird.
Und da viele, früher optionale, Klimamaßnahmen nun gesetzlich verankert sind, oder werden, fällt es nicht mehr so schwer, mit Klimaneutralität zu werben.

Keine Rolle spielt, und das wäre entscheidend, die CO₂ Belastung durch den Bau und den Betrieb eines Gebäudes. Aber gerade diese CO₂-Belastung ist entscheidend, denn im Schnitt werden pro qm2 500-600 kg CO₂ freigesetzt. [LINK]

Die Frage ist, wie dies kompensiert werden kann?
Und, welche Möglichkeiten gibt es, diese CO₂-Belastung zu reduzieren?
Durch die Nutzung von klimaneutralen Baumaterialien und Nutzung vorhandener Ressourcen.
Holz z.B., (…was den Beteiligten ein Schmunzeln abverlangte)
Holz wird momentan vielfach für solche Vorhaben eingesetzt, um den Klimafußabdruck von Baumaßnahmen zu verkleinern.
Bei den umworbenen Wissenschaftlern käme das sehr gut an!

Aber Beton ist in Bremerhaven zurzeit das Material der Stunde.

Man merkte schnell, beim Thema Klima steht Bremerhaven noch ganz am Anfang.
Man bemüht sich, aber der Weg ist noch sehr lang.

Diese Themen waren nicht Gegenstand der Rahmenplanung, sollten es aber sein.
Die Zahlen zur CO₂-Belastung dürften dem Büro Cobe vorliegen, denn in Kopenhagen hätten sie diese wohl vorlegen müssen.


Eine weitere Sollbruchstelle ist die Klimarisikoabschätzung.

Ich verweise hier auf die Feststellungen des Umweltbundesamtes [LINK] und auf die Feststellungen im Rahmen des
Climate adapt Programmes der EU [LINK]

Etwas leichter zugänglich: [LINK] und ein Beitrag auf 3 SAT [LINK]

YouTube player

Der Anstieg des Meeresspiegels wird zum Problem.
Ich will jetzt nicht auf die Karten von untergehenden Küsten-Landstrichen verweisen. Es ist nicht nur ein Problem, das Wasser nicht hereinzulassen, sondern, wenn weite Landstriche unter Meeresniveau liegen, das Problem ist, das Wasser nicht mehr herauszubekommen.
Informativ dazu das Essay von Rutger Bergmann:
“Wenn das Wasser kommt” (leider nur in Buchform)[LINK]

Starkregen wird zum Problem. Seit der Flutkatastrophe im Ahrtal ist das wohl jedem klar. 
Und wenn Melf Grantz auf die Auffangbecken hinweist, dürfte er wohl kaum eine Vorstellung davon haben, was da auf uns zukommen kann.
Der Versiegelungsgrad des Gebietes ist zu bewerten, ggf. weitere Flächen zu entsiegeln.
Die jetzige Planung der Grünstreifen wird kaum ausreichen, zumindest sollte man sich ernsthaft mit dem Problem befassen.

YouTube player
YouTube player

Hitze wird zum Problem, und spätestens wenn man die Pläne vom Büro Petram gesehen hat (s.o.), wird klar, wie dicht die Bebauung wird.
Nur Gründächer reichen da nicht aus.
Und, ob bespielbare Dächer bei Extremwetter sehr beliebt sind, das glaube ich kaum.

Die Bebauung ist so dicht, da könnte man schon an Urban Pergola denken. [LINK] die Studenten aus Bremerhaven, Finalisten des deutschen Nachhaltigkeitspreises.

YouTube player


In Kopenhagen ist Klimarisikoabschätzung schon lange ein Thema. [LINK]
In Bremerhaven (der “Klimastadt” am Wasser) nicht!

Auf Nachfrage teilten die Cobo Architektinnen mit, es gebe keinerlei Überlegungen in diese Richtung.

Die FAZ berichtet am 22.4.2022, wie blind die Politik gegenüber solchen Risiken ist [LINK]

Also, eine Stadt, die gerne Wissenschaftler in ihren Reihen begrüßen würde, stellt klar, daß sie sich um deren Erkenntnisse nicht schert.
Ein Oberbürgermeister betätigt sich als Küstenschützer und Spezialist für Starkregenereignisse: “Das wird schon klappen!”
Das Land Bremen hat Richtlinien für eine Klimaanpassungsstrategie erlassen [LINK]
auch Bremenports sieht das anders als die Stadt [LINK]


Letztlich werden die konkreten Bebauungspläne entscheiden, wie und was gebaut wird.
Dass ich da skeptisch bin, wie die Stadtverordnetenversammlung entscheiden wird, ist wohl jedem klar, der die beiden o.g. Entscheidungen der StVV miterlebt hat.

Also, Pläne gut, aber es fehlen wesentliche Feststellungen.
Und, Befürchtungen, daß Cobe seine Pläne nach der “Realisierung” nicht mehr wiedererkennt, sind wohl berechtigt, wenn es wieder die “Bremerhavener Mischung” gibt.

Und, wie schon jemand aus dem Publikum bemerkte:
Die Planung ist sehr eng mit der Petram Group verzahnt, die Entwicklung der Baupreise und der Lieferkettenprobleme ist nicht vorhersehbar. Ein Plan B wäre gut.

Fazit:
Hier wird ein vollkommen neuer Stadtteil gebaut. 
Die Pläne von Cobe sind gut!
Aber: diejenigen, die jetzt so begeistert sind, und die Risiken nicht sehen, werden darunter nicht zu leiden haben, wenn die Risiken zur Gefahr werden.
Aber die nächste Generation wird dies erleben.

Deshalb saßen die Falschen im Plenum!

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner