Hat die SPD die Idee einer Straßenbahn in Bremerhaven schon beerdigt?
Nicht anders kann man die Ausführungen von Sönke Allers (SPD) auf der Veranstaltung des Verkehrswendebündnis Bremerhaven am 28.6.2022 verstehen. Kein Geld, zu kompliziert und brauchen wir die überhaupt, wenn die Wasserstoffbusse kommen? Das Verkehrswendebündnis Bremerhaven hatte eingeladen!
„Verkehrswende in Bremerhaven - Welche konkrete Bedeutung hat der Klima-Enquete-Abschlussbericht des Landes Bremen für die Politik in unserer Stadt?"
Die Veranstaltung wurde vom Media Lab Bremerhaven aufgenommen, und wird noch veröffentlicht.
Dies ist also ein Kommentar, und kein Protokoll!
Zur Veranstaltung:
Auf dem Podium saßen: Thomas Ventzke (CDU), Gökhan Akkamis (FDP), Sönke Allers (SPD), Muhlis Kocaage (Linke), Michael Labetzke ( Grüne). Moderiert wurde die Diskussion von Dieter Mazur (BUND) und Winfried Gusky (BUND).
Zugegeben, der Start war zumindest für Allers und Ventzke nicht optimal. Dieter Mazur schilderte die Entwicklung von Bremen Horn-Lehe, von einem autofixierten Stadtteil, und den Bemühungen, diesen wieder für die Menschen zu öffnen.
Seine Sicht auf Bremerhaven?
Bremerhaven ist der Klassiker der autogerechten Stadt.
Dieter Mazur
Mazur wies darauf hin, dass der ÖPNV bei der positiven Entwicklung von Horn-Lehe eine zentrale Rolle spielte und hier eben die Straßenbahn.
Den Teilnehmern wurden zwei Fragen gestellt, die man zusammenfassen kann:
Wie halten es die Anwesenden mit der Umsetzung der Verkehrswende in Bremerhaven?
Thomas Ventzke(CDU)antwortete als erster:
Im Grunde ist alles in Ordnung:
– die Hafenstraße wurde optimiert ( …das sagte er ernsthaft!),
– Streesemannstraße ist ausgebaut,
– der Hafenliner ist ein Erfolg,
– Bremerhaven bekommt für 1.4 Mio Wasserstoffbusse
– Premiumradwege.
Und das Totschlag-Argument zur Columbusstraße: was ist, wenn es einen Stau auf der Autobahn gibt?
( so auch Sönke Allers).
Man glaubt es nicht! Die Stadt als Autobahnvorhaltestrecke! Dann aber bitte mit Tankstelle und Drive-in an der Columbusstraße. Wenn beide es nicht so ernst sagen würden, ich würde es unter Satire einordnen, Kishon hätte sich das nicht besser ausdenken können.
Auf den Workshops zur Hafenentwicklung wurde eines deutlich: der Warentransport auf der Straße hat, zumindest überregional, keine Zukunft, und sollte neben Schiene und Binnenschifffahrt nur noch eine Nebenrolle spielen ( ), das scheint in der Stadt Bremerhaven noch nicht angekommen zu sein.
Kurz: Aus Sicht der CDU Alles gut!
Die Kernaussage: Wir wollen, dass jeder, immer, und überall, die Mobilität nutzt, die er bevorzugt.
( …das ist aber auch der Standpunkt der FDP, die Automobilität noch immer mit Freiheit gleichsetzt, etwas leiser vorgetragen auf der Veranstaltung, aber in der Sache konsequent)
Auf die Rückfrage von Dieter Mazur, wie er es denn mit der Straßenbahn halte, diese würde immerhin mit 90% vom Bund bezuschusst, kam leider nur die Antwort, man wolle auf das Gutachten zur Wirtschaftlichkeit warten.
Danach konnte sich Michael Labetzke (GRÜENE) äußern.
Wie nicht anders zu erwarten, legte er seinen Finger in die offenen Verkehrs-Wunden der Stadt:
das Fehlen jeglicher Planung zum Thema Verkehr, und kein Konzept für eine Verkehrswende.
Er favorisiert die Straßenbahnidee, sieht sie aber nur als ein Element in einem nachhaltigen Verkehrskonzept. Pläne für das Projekt gibt es reichlich, auch was die Trassen angeht.
Er betonte, wie wichtig die Einbeziehung des Umlands in die Verkehrsentwicklung ist, die Kommunikation mit den Umlandgemeinden.
- autoarme Innenstadt als Ziel,
- ÖPNV und insbesondere auch den Pendlerverkehr mit dem Hafen verbessern,
- Rückbau Columbusstraße,
- nicht nur Prämiumradwege, sondern eine wirklich nutzbare Radachse durch die Innenstadt.
Danach äußerte sich Sönke Allers (SPD).
Er war die Enttäuschung des Abends. Er mag ja ein gewiefter Lokalpolitiker sein, und Kenner der Bremerhavener Finanzen. Aber er sah alles nur aus dieser Sicht, mit Scheuklappen und ohne Zukunftsperspektiven. Verkehrspolitik ist einfach nicht sein Ding! Bremerhaven leistet sich ein finanzielles Abenteuer (… Karstadt, Werftquartier) nach dem anderen, und der Hinweis auf fehlende Finanzen, wenn es um die Verkehrswende geht, hinterlässt einen sehr schlechten Nachgeschmack. Auch der Hinweis auf die Wasserstoffbusse (auch diese brauchen eine kostspielige Infrastruktur) zeigt kein Verständnis für eine Verkehrswende. Und die Favorisierung der E-Mobilität ist auch nur ein Hinweis auf die Grundhaltung der SPD, die von Dieter Mazur wie folgt beschrieben wurde:
Die SPD ist eine Partei des Status Quo.
Sönke Allers Haltung entspricht dem Sondervotum der SPD zum Bericht der Klimaenquete Kommission, die den Verkehr nicht begrenzen will, sondern die Flucht in die Technik als einzige Lösung sieht.
Kurz: Kein Geld, lahme Verwaltung (? wie lange regiert die SPD?), Probleme, Probleme.
Da brauchen wir gar nicht erst anzufangen. Das Umland einbeziehen? Zu kompliziert!
Im Nachgang wies ich ihn noch auf eine Studie der Uni Kassel hin ( NRVP 2020- Welche Kosten verursachen verschieden Verkehrsmittel wirklich? ), die mittlerweile Grundlage für die Entscheidung vieler Kommunen ist. Die Uni Kassel hat ein Tool entwickelt, mit dem die Kommunen diese Kosten ermitteln können.
Dies scheint in Bremerhaven vollkommen unbekannt zu sein.
Kurz, der automobile Individualverkehr ist mitverantwortlich für die schlechte Finanzsituation der Kommunen.
Sönke Allers versuchte sich mit dem Hinweis zu rechtfertigen, dass man den LKW Verkehr aus der Stadt haben wolle
(… natürlich weiß er wo ich wohne, und was nicht nur mich hier ärgert…, netter Politikertrick…), aber, es geht hier um den PKW Verkehr. Denn dem LKW Verkehr als Warentransport- und Lieferverkehr kann ich in der Stadt noch ein Existenzrecht zugestehen, dem veranlassungslosen PKW Verkehr weniger.
Und, es geht auch nicht um eine City-Maut, sondern darum festzustellen, wo die Gelder der Kommunen wirklich ausgegeben werden, wenn man einer Verkehrswende einen Finanzierungsvorbehalt entgegenhalten will und Straßebahnen für zu kostspielig hält.
Eine Zusammenfassung der Studie im Kommunal Wiki
Auch die Verkehre unterscheiden sich stark; so ist in Kassel der Anteil des Radverkehrs wesentlich geringer als in Kiel oder Bremen, letztere hat als Hafenstadt hingegen einen doppelt so hohen LKW-Anteil am Verkehr wie die anderen beiden Städte. Im Ergebnis verursacht der LKW-Verkehr für die Kommunen Kosten zwischen 28 und 56 Cent je gefahrenen Kilometer, der PKW-Verkehr zwischen 6 und 13 Cent – so hoch müsste eine City-Mautsein, wollte sie die Kosten vollständig ausgleichen.
Kommunal Wiki
Muhlis Kocaage (Linke) wies im Rahmen der Diskussion auf einen Aspekt hin, der etwas aus dem Focus geriet: auf den sozialen Aspekt des Verkehrs, insbesondere auf den Zugang aller Bevölkerungsgruppen zur Mobilität. Das stimmt, und sollte mehr in den Focus rücken.
Gökhan Akkamis (FDP), wies mit Recht darauf hin, dass so gut wie keine verifizierbaren, belastbaren Daten über den Verkehr in Bremerhaven vorliegen. Der Hinweis war insoweit etwas seltsam, als das zuständige Amt in FDP Hand ist. Der jetzt angestrebte VEP 2040 ist noch lang nicht in sich.
Aber, den Verkehr als solchen hinterfragte er nicht, da ist er sehr nah an der Haltung der CDU.
Er will eine Entpolitisierung der Verkehrsfrage! Aber bitte, wie soll man diese Frage entpolitisieren?
Fazit: Bei der Diskussion im historischen Museum am 6.5. “ Klimastadt Ernst nehmen” hatte ich einen WOW Effekt ( )
Martin Michalik (CDU), Arno Gottschalk (SPD) waren bei der Entstehung des Berichtes des Klima-Enquetekommission beteiligt, und man merkte Ihnen an, dass sie etwas ändern wollten. Klimaschutz, Verkehrswende haben nichts mit der Zugehörigkeit zu einer Partei zu tun, sondern mit persönlichem Verantwortungsbewusstsein.
Gestern bin ich auf dem Bremerhavener Asphalt der ewig-gestrigen Lokalpolitik aufgeschlagen. Frustrierend!