27.12.22 - 15.1.23
Datum/Link | Themen | Bild |
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27.12.2022 | Wie geht es den Urbanista Projekten? VIDEO | |
29.12.2022 | Zwischen den Jahren! | |
2.1.2022 | Gedanken zum Jahresstart; Apollo 11 und die Chimäre vom grünen Wachstum; | |
3.1.2023 | Wahlkampf, Verkehr und Tempo 30 | |
5.1.2023 | Tempo 30 in Bremerhaven | |
7.1.2023 | Mobilitätswende als Paradigmenwechsel -Video Cast- | |
9.1.2023 | Aktenhaltung | |
10.1.2023 | „Mobilitätswende“, Lützerath und Bremerhaven, Was ist ein Dritter Ort? | |
11.1.2023 | Ist Entenhausen besser digitalisiert als Bremerhaven? | |
12.1.2023 | Neujahrsempfang | |
15.1.2023 | Ist Bremerhaven eine Abrissstadt? |
Smells like….. .
Nicht nur Wahlen sind für die Demokratie wichtig. Ein, das eigentlich wesentliche Standbein für eine lebende Demokratie ist die Presse. Und die Lokalpresse hat hier eine wesentliche Rolle.
Als wir vor 4 Jahren, erst probeweise, nach Bremerhaven zogen, fiel mir eins sofort auf, die Nordseezeitung.
Ein Auge hatte und habe ich immer noch auf Münster, also auch auf die Lokalpresse dort. Kein Wunder, ich habe 40 Jahre in der Stadt gelebt. In Münster gab es zwei große Zeitungen, die eher liberale Münstersche Zeitung (MZ) und die bürgerlichen Westfälischen Nachrichten (WN).
Beide konkurrierten um Leser.
Situation heute?
Die MZ hielt den Druck nicht mehr aus, sie verschwand, wurde nur noch zum Mantel, der Name blieb, der Inhalt ist der,der WN.
Aber auch die WN hörte auf, als eigenständige Lokalzeitung zu leben.
Die Lokalredaktion geschrumpft, der sonstige Nachrichten-Mantel von der Stange.
Das Internet wurde oft als Ursache für diese Entwicklung genannt. Aber das glaube ich nicht.
Im Lokalbereich sind Twitter und Facebook in Münster eher nachrangig. Es waren wohl eher unternehmerische Entscheidungen, Annahmen von Wirtschaftsberatern, die meinen zu wissen, wie eine Presse zu verkaufen ist.
Für die Lokalredaktionen vor Ort eine Katastrophe. Journalisten gehören nicht zu den Besserverdienern, und müssen immer mit solchen Situationen, solchen medialen “Flurbereinigungen” leben. Ein Trauerspiel.
Die WN, die MZ, eigentlich ist alles nur noch der Lensing Gruppe untergeordnet.
Auch die Nordseezeitung ist nicht wirtschaftlich als Blatt unabhängig, aber wenn ich den Lokalteil sehe: Respekt!
Das bekommt man nicht überall!
Die aktuelle Tempo 30 Kampagne zeigt, welche Wirkung das geschriebene Wort auch heute noch haben kann.
Es scheint sich etwas zu bewegen.
In Bremerhaven hat die Lokalpolitik an Bodenhaftung verloren.
Das ist weiter nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, wie lange die SPD schon die Politik bestimmt, wie lange immer die gleichen Namen auftauchen.
Bei Parteien, die nach so einer langen Zeit des Regierens, wie ein Fließband für Politiker funktionieren, ist es nicht erstaunlich, dass die “interne Polarisierung” darunter leidet.
Das ist kein typisches Bremerhavener Problem.
In Münster ist es die Vorherrschaft des “Landadels”, Namen, die schon Napoleon kannte, und alt eingesessene Politiker, die auch heute noch jeden Grashalm in der Stadt und auf dem Land kennen, der bestimmt, in welche Richtung sich die Stadt entwickelt. Münster ist noch immer eine bürgerliche Stadt (…. aber mit Fahrradwegen!).
Die Studenten prägen das Stadtbild, die Politik ist auch jünger geworden, aber am Grundakkord der Stadt hat sich nichts geändert (zumindest als ich noch dort wohnte)
Napoleon kannte sicherlich nicht den Bremerhavener Werften adel, aber das Grundprinzip der Einflussnahme solcher Personengruppen auf das lokale politische Geschehen ist das Gleiche.
Für die Aufgabe der Meinungspolarisierung, für ein Grundprinzip funktionierender Demokratie, ist dann eine funktionierende Lokalpresse, außerhalb dieser Blasen, elementar wichtig.
Und diesen Job macht die NZ prima: sie ist die Stimme des realen Lebens in Bremerhaven!
Aber, zum Titel Smells like….
Während des Studiums habe ich während der Semesterferien regelmäßig auf dem Arbeitsamt gearbeitet. So hieß das Amt, das heute etwas verniedlichend “Job Center” genannt wird.
Eine Lektion, die ich dort gelernt habe: Respekt.
Ich kam als junger, “lockerer” Student zum “Amt”.
Ich will jetzt nicht behaupten, dass ich anfangs das Jura-Studium sonderlich ernst genommen habe.
Ich bin da irgendwie hängen geblieben.
Viele Studenten brachen zu meiner Zeit ihr Jura-Studium beim Kontakt mit den ersten Klausuren ab, wurden Taxifahrer oder gründeten Clubs. Deshalb sind Geisteswissenschaftler, wie Juristen, auch der Motor für die Clubszene einer Stadt.
Sie haben die Zeitressourcen. Und die Geisteswissenschaftler fehlen leider in Bremerhaven, und damit der Zündfunke für eine Clubszene. Naturwissenschaftler haben für solche Aktivitäten keine Zeit.
OK, also, wo war ich?
Arbeitsamt.
Die Nebenstellen waren meistens in kleinen, angemieteten Häusern untergebracht.
Es herrschte anfangs noch sog. Vollbeschäftigung.
Dann kam der Strukturwandel, die Arbeitslosigkeit ging durch die Decke.
Bei der Berufsberatung hieß es noch, “Sei schlau, geh zum Bau”, bei uns, der Vermittlung, ein Stockwerk tiefer, standen die Poliere schon in der Schlange.
Da saßen nun Männer und Frauen, die jahrzehntelang durch ihre Arbeit ihren Lebensunterhalt, und das Auskommen der Familie gesichert hatten, an meinem Schreibtisch.
Ich fing an, mich anders, seriöser, zu kleiden.
Kaffeetasse und Essen auf dem Schreibtisch hatten dort sowieso nichts zu suchen.
Wenn jemand das Zimmer betrat, war er die Hauptperson.
Diese Menschen waren in einer echten Notsituation, wenn sie dort vor mir saßen.
Und sie hatten es verdient, dass man sie mit der Ernsthaftigkeit behandelte, wie es der Situation entsprach.
Zurück in Münster, Studium, das war eine andere Welt.
Eine Station, Jahre später, die sog. Leistungsabteilung des Amtes, Anträge und Aktenberge.
Damals war noch nichts digitalisiert, dafür gab es die Aktenhaltung.
Und da war er, dieser Geruch, kaum richtig zu beschreiben.
Ich wusste, wie alte Bücher riechen. Im Studium saß ich am liebsten in der Unibibliothek.
Nachdem ich morgens alle imposanten Bücher zum Erbrecht, oder Wertpapierrecht vor mir auf dem Tische aufgebaut hatte, war ich schon so “erschöpft”, dass ich erst einmal einen Kaffee aus dem Automaten brauchte.
Danach verzog ich mich dann in Abteilungen, die mich magisch anzogen: Geschichte, Soziologie, Psychologie.
Eben alles außer Jura.
Dort gab es die richtig alten Bücher, die alten Zeitschriftensammlungen. Ich liebte die Atmosphäre, den Geruch dort.
So kam es auch zu der Geschichte mit der Andrea Doria.
Ich bestellte, damals gab es noch Karteikarten, die Ausgaben der Westfalen Post (Die Tages-Zeitung, die damals in Ahlen, meiner Geburtsstadt erschien) aus dem Jahr 1956, meinem Geburtsjahr.
Die Tagesausgaben wurden mir dann, mit einer Schnur jeweils zu einem Monat gebündelt, auf einem Tresen überlassen.
Darin zu blättern, das Papier zu spüren, zu riechen. Das hatte was.
Und, da stand sie, die amtliche Meldung meines Erscheinens.
So schöne Geburtsanzeigen wie heute gab es damals nicht, eine schlichte amtliche Meldung, das war’s.
Und die Titelseite?
Die Nachricht, dass die damalige MS Europa (später die MS Astoria) die Andrea Doria gerammt hatte, die daraufhin bekanntlich sank. Da war also gar nichts klar!
Damals entdeckte ich meine Liebe zur Recherche, zum “Rein wühlen” in diese alten Geschichten.
Aber dieser Geruch in der Bibliothek war anders, anders als der Geruch in der Aktenhaltung.
Wahrscheinlich, weil ich wusste, was für Geschichten, Schicksale zwischen diesen Aktendeckeln lagen.
Was diese Anträge, Bescheide, Formulare und Formblätter eigentlich repräsentierten.
Warum diese Geschichte?
Wenn ich heute die “Erfolgsmeldungen” über das Bürgergeld lese, kommt es mir wie blanker Zynismus vor.
Schon damals kannte ich Menschen, die mehrere Jobs hatten, weil sie nicht von einem Job allein leben konnten.
Aber das war die Ausnahme. Später, bei der Arbeit als “Stadtteilanwalt” habe ich einige Menschen kennengelernt, bei denen das die Regel war, sie konnten sich mit einem Job kaum noch über Wasser halten. Es wurde fast zur Regel für diejenigen, die in Münster vom großen Kuchen zu kleine Stücke abbekamen.
Es ging gar nicht mal so ums Geld, sondern um die Würde.
Mit Würde gehen wir aktuell leichtfertig um, wenn Menschen wieder Angst haben müssen, ob sie sich und ihre Familie noch versorgen können, und nicht zu wissen, wie ihre Zukunft aussieht.
Diesen Geruch in der Aktenhaltung, den habe ich noch heute in der Nase, wenn ich Berichte darüber lese, was diese Ängste mit den Menschen machen. Zu diesem Thema fand ich heute einen Beitrag in der Spektrum. Ein Zufall!
Ich wollte eigentlich über die wichtige Rolle der Lokalpresse schreiben, und über Maike Wessolowski und den Artikel über
Dr. Ehbauer, aber das kommt noch.
Aber gerade, beim Durchsehen der Nachrichten, da gingen die Gedanken wohl einen anderen Weg.
Denn die Lokalpolitik ist nicht mehr ein Sprachrohr für diese Menschen!
Sie rühmt sich, wenn das AFZ Projekte fördert, oder stellt sich gerne neben die Ehrenamtlichen der Tafeln, die die schlimmste Not lindern.
Aber, es ist Aufgabe der Politik zu verhindern, dass Menschen von AFZ Projekten, die eigentlich als Übergangsprojekte gedacht sind, abhängig sind, oder zu einer Tafel gehen müssen, weil sie nicht wissen, wie sie Lebensmittel bezahlen sollen.
Und, diesen Job macht die Politik zurzeit nicht!
So träumen manche Politiker in Bremerhaven von einer reichen Stadt, mit wohlhabenden, steuerzahlenden Bürgern, auf hohen Rankingplätzen bei ImmoScout, sehen aber gerne weg, wenn die Realität dazu nicht so richtig passen will.
Ich plädiere schon lange für ein bedingungsloses Grundeinkommen, dessen Finanzierung durch die Streichung der aktuell gewährter Steuervergünstigungen für rein auf Kapital basierende Vermögen kein großes Problem ist.
Das Konzept unserer “Leistungsgesellschaft” mit einem ewigen Wachstum passt schon lange nicht mehr zur Realität, zur Erkenntnis, dass Wachstum begrenzt ist.
In den Leistungsbereichen der so oft umschwärmten IT Fachkräfte hat sich Quiet Quitting schon lange etabliert, die Reduzierung dessen, was wir der Lebenszeit für Jobs abnehmen, um Geld zu verdienen, um Sachen zu kaufen, mit denen wir Leute beeindrucken wollen, die wir nicht einmal mögen, um “Fight Club” zu zitieren.
Die Menschen im Gesundheitswesen gehen an ihr Limit, und schmeißen hin, weil sie nicht mehr können, in einem Gesundheitssystem, das auf Effizienz und Wirtschaftlichkeit getrimmt ist und dafür auch noch für Dividenden wirbt, und um Kapitalanleger buhlt!
Es ist genug, und es wird Zeit, dass wir wieder die Menschen in den Mittelpunkt stellen.
Und dafür brauchen wir auch eine lebendige Lokalpresse!